War es möglich, dass die USA nach der Wahl im November 2020 zur Ruhe kommen? „Der Trump, den man aus dem Amt vertrieben hatte, war derselbe Trump, der in dieses Amt gekommen war. In dieser langen Geschichte hatte es keinen transformierenden Moment gegeben. Die Leute warteten darauf, dass seine Schande ihn einholen, ihn in die Knie zwingen würde. Aber das hier war kein Shakespeare. Trump lernte nicht, er entwickelte sich nicht, er änderte sich nicht“, schreibt Michael Wolff im letzten Teil seiner Trump-Trilogie. Er beginnt im Juli 2020 mit dem Wahlkampf um die Wiederwahl und endet mit dem zweiten Impeachment im Februar 2021. Beinahe minütlich protokolliert er die Wahlnacht im Weißen Haus und schildert, wie heftig die ausgelassene Stimmung umschlug, nachdem Fox News Joe Biden zum Sieger in Arizona erklärte: „Die Demokraten spielten den möglichen Vorteil der Briefwahl aus und hatten damit ein deutlich besseres Gespür für das neue Wahlverhalten.“ Bald wurde die Legende von den illegalen Stimmen und der gestohlenen Wahl geboren.
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Michael Wolff erzählt die turbulent-dramatischen Ereignisse dieser Monate in seinem prägnanten Stil aus nüchterner Analyse und feiner Ironie angesichts des Irrsinns, den Trump weiter auf die Spitze trieb. So knüpft er an seine Bestseller Feuer und Zorn (2018) und Unter Beschuss (2019) an. Mit dieser Haltung interviewt er am Ende den Ex-Präsidenten in Mar-a-Lago und erlebt einen Mann, der fest an seine eigenen Verschwörungstheorien glaubt. Erst am 6. Januar 2021 soll er kurz bemerkt haben, was seine Worte vom gemeinsamen Marsch zum Kapitol auslösten: „Selbst Trump, der den direktesten Draht zu seiner eigenen Fanbasis hatte, war augenscheinlich verwirrt. Es waren vor allem die radikalen Getreuen, die sich zusammengerottet hatten.“ Der Präsident verfolgte mit seiner Rede vor dem Weißen Haus aus Sicht von Michael Wolff keinen Plan, wie es später die Demokraten im zweiten Amtsenthebungsverfahren behaupteten, da er auch sonst nie einen hatte. Sein Fazit der Präsidentschaft fällt deutlich aus: „Trumps wahrer Anschlag auf die Normen der Demokratie war gewesen, dass er Organisation, Strategie, Methode, rationales Denken und bewusste Entscheidungsfindung aus der höchsten Regierungsebene verbannte.“ 77 Tage spielt im Weißen Haus, dessen Team wie in Zeitlupe zerfällt. Donald Trump, so fasst es Michael Wolff am Ende zusammen, kontrolliert Finanzen und Funktionäre der Republikanischen Partei. Was passiert, wenn er 2024 erneut zur Wahl antritt?
Michael Wolff: 77 Tage – Amerika am Abgrund: Das Ende von Trumps Amtszeit. Übersetzt von Karsten Singelmann, Henriette Zeltner-Shane, Christiane Bernhardt, Astrid Becker, Stefanie Römer, Gisela Fichtl und Eva Schestag; Rowohlt 2021, 416 Seiten
„Unsere letzte und beste Hoffnung sind tatsächlich wir selbst“, betont George Packer angesichts von Zynismus und Erschöpfung, die sich in den USA breitmachten. Die Corona-Pandemie legte aus seiner Sicht brutal offen, woran das Land krankt. Krisen begriffen die Amerikaner stets als Herausforderung und packten sie an. Doch patriotischer Zusammenhalt fehlte nun, das Virus traf ein geschwächte Nation: „In den prosperierenden Städten eine Klasse global vernetzter Schreibtischarbeiter, abhängig von einer Klasse prekärer Dienstleister. Auf dem Land verfallende Gemeinden, die sich gegen die moderne Welt stemmen. In den Medien endloses Gegeifer, das die einzelnen Lager übereinander ausgießen. In der Wirtschaft, trotz Vollbeschäftigung, eine sich stetig vertiefende Kluft zwischen triumphierendem Kapital und einer immer mehr in Bedrängnis geratenen Arbeiterschaft. In Washington eine hohle Regierung, die von einem Betrüger und seiner bankrotten Partei geführt wird.“ In seinem Essay erinnert er an frühere „Nahtoderfahrungen“ wie Kriege und Krisen, die Demokratie hielt das Land stabil. Wie in Die Abwicklung (2014) erzählt er diese Geschichten mit den Biografien von Menschen, die in schwierigen Situationen mutige Entscheidungen trafen.
Kris Julien
George Packer teilt die USA in vier Amerikas. Das Freie erwartet von einer Regierung die Sicherung individueller Rechte, maximale Freiheit für die Wirtschaft ohne sozialstaatliche Eingriffe. Die Überflieger der Wissensgesellschaft teilen diese Sicht mit kleinen Einschränkungen, das Smarte Amerika zählt sich den oberen zehn Prozent und betont seinen sozialen Status. „Das Wahre Amerika war immer schon das Land der Weißen“, nationalistisch lehnt es jedes humanitäre und internationale Engagement ab. Nach 2012 schwenkte die Republikanische Partei vom uneingeschränkten Kapitalismus auf diesen Kurs, eine Voraussetzung für den Trump-Kult und seinen Wahlsieg. Das Gerechte Amerika rebelliert seit 2014 gegen die „selbstgefällige Leistungsgesellschaft des Smarten Amerikas.“ Es erklärt die Rassentrennung als direkte Folge der Sklaverei und fordert Gleichheit ein. Wenn George Packer die Geschichte und Konflikte dieser Narrative analysiert, erklärt er zugleich die Herausforderung, vor der die gesamte Gesellschaft steht, wenn sie zueinander finden will. Er setzt auf den Wandel von unten: Amerikaner sollten möglichst viel Zeit verbringen mit Menschen, „die weder so aussehen wie sie selbst noch so denken oder reden“ und in Projekten gemeinsam arbeiten.
George Packer: Die letzte beste Hoffnung – Zum Zustand der Vereinigten Staaten. Übersetzt von Elisabeth Liebl; Rowohlt 2021, 256 Seiten