Der Ort, an dem die Fäden des Netzwerkes von Wladimir Putin zusammenlaufen, lag ursprünglich nördlich von Sankt Petersburg am Komsomolskoje-See. Als Vizebürgermeister gründete er dort mit Verbündeten aus der jüngeren KGB-Generation die Osero-Datschengemeinschaft, erzählt die Journalistin Catherine Belton. Später als Präsident übernahmen er und seine Partner „Stück für Stück die strategisch wichtigen Wirtschaftssektoren und schufen ein eng verflochtenes Netz loyaler Kameraden – sozusagen Treuhänder –, die sich die größten Goldgruben des Landes sicherten und alle anderen ausschlossen. Die Bank Rossija sollte das Herz des Finanzimperiums hinter dieser Gruppe bilden.“ So wollten sie Russlands Wirtschaft in einen Staatskapitalismus überführen. Der Prozess gegen Michail Chodorkowski, bis dahin reichster Mann des Landes, diente dazu, den Oligarchen der Jelzin-Jahre ihre Grenzen aufzuzeigen. Im Kreml übernahmen Putins Vertraute Schlüsselpositionen der Verwaltung.

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Von 2007 bis 2013 berichtete Catherine Belton für die Financial Times aus Moskau. Ihr Fazit mit Blick auf die Ex-KGB-Leute in Putins innerem Kreis: Um Russland wieder zu imperialer Macht zu führen, mussten sie nach ihrem Verständnis den Westen und vor allem die USA empfindlich treffen: „Die Schwäche des westlichen Kapitalismus, in dem Geld letztendlich alle Bedenken überwog, hat das System weit für die Manipulationen des Kreml geöffnet. In Russland hatte die bereitwillige Komplizenschaft des Westens geholfen, die KGB-Simulation einer normalen Marktwirtschaft zu erschaffen“, betont sie, und führt an anderer Stelle über westliche Banker aus: „Sie waren geblendet von der Geldflut, die aus der ehemaligen Sowjetunion in die Londoner City strömte, und verließen sich zunehmend darauf – insbesondere als das westliche Bankensystem auf die Finanzkrise von 2008 zusteuerte.“ Catherine Belton schildert ausführlich, mit wem Wladimir Putin die Fäden zieht. Sie forschte seiner Zeit als KGB-Agent in der DDR nach, suchte Spuren in Leningrad/Sankt Petersburg und Moskau. Welche Rolle spielte für ihn der FSB, welche der zweite Tschetschenienkrieg, um seine Macht zu festigen? Schließlich hinterfragt sie auch mögliche Verbindungen zu Donald Trump: „Dmitri Peskow, Putins mächtiger Pressesprecher“, schreibt sie, „hatte einmal geprahlt, dass die Bemühungen von Robert Mueller, dem Sonderermittler, der Trumps Russlandverbindungen untersuchen sollte, niemals zu einem Ergebnis gelangen würden.“ Putins Netz liefert wichtiges Hintergrundwissen, um die Politik des russischen Präsidenten zu verstehen und bietet viele Anknüpfungspunkte für weitere Recherchen.

Catherine Belton: Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste. Übersetzt von Elisabeth Schmalen und Johanna Wais; HarperCollins 2022, 704 Seiten

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Sergei Ilnitsky/AFP

Seit Putins Zeit als Vizebürgermeister in Sankt Petersburg an seiner Seite: Igor Setschin, Chef von Rosneft, Russlands größtem Ölkonzern. Hier beraten sie sich während des Belt and Road Forums in Peking 2019. Der frühere KGB-Agent organisierte die Verstaatlichung des russischen Ölsektors, erhielt „wegen seines Hangs zu skrupellosen Komplotten später den Spitznamen ›Russlands Darth Vader‹“, schreibt Catherine Belton. Nach ihren Recherchen griff er bei zahlreichen Krisen wie der Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater durch tschetschenische Terroristen im Oktober 2002 ein. Er steuerte den Chodorkowski-Prozess, beschaffte Schmiergelder und organisiert den engsten Kreis um Putin. Beide verbindet die Herkunft aus armen Verhältnissen in Leningrad, aus denen sie sich hochgearbeitet haben. Die USA verhängten gegen ihn, bemerkt Angela Stent, bereits 2014 persönliche Sanktionen.

„Rückschläge der demokratischen Verfasstheit in Zentraleuropa, Russlands erneute Herausforderung seiner Nachbarn, das anhaltende ‹postsowjetische Syndrom› in allen ehemaligen Sowjetstaaten und große Wellen von Migranten, die an Europas Küsten anlanden, haben zum Aufstieg populistischer Strömungen und wachsenden Zweifeln am europäischen Projekt – einer EU, die dafür sorgt, dass europäische Konflikte fortan vermieden werden – geführt“, schreibt die Politikwissenschaftlerin Angela Stent. Wladimir Putin nutzt aus ihrer Sicht jede Gelegenheit, um den Westen zu spalten: Nach dem Wahlsieg von Donald Trump erkannte er transatlantische Konflikte als Chance, souveräne Rechte kleinerer Länder ignoriert er. Ihre Analyse lohnt es auch deshalb zu lesen, weil sie neben ihrer Arbeit als Hochschulprofessorin zwischen 1999 und 2012 in verschiedenen Funktionen die US-Regierung beriet. Dieses Buch dürfte zum Teil die Sicht des National Intelligence Council widerspiegeln.

Matt Mendelsohn

Angela Stent konzentriert sich auf die russische Außenpolitik seit der deutschen Einheit. Mit Blick auf die Debatte über die NATO-Osterweiterung betont sie, dass im Februar 1990 US-Außenminister James Baker und Bundeskanzler Helmut Kohl mit dem KPdSU-Generalsekretär Michail Gorbatschow nur diskutierten, welchen Status das frühere DDR-Gebiet nach der Wiedervereinigung erhalten würde.
Sie umkreist Russland und untersucht seine Beziehungen zu Europa, Deutschland, der NATO, zu China, Japan, dem Nahen Osten und den USA. Zur Ukrainekrise schrieb sie 2019: „Der Westen hat sich auf einen schwelenden, von Zeit zu Zeit aufflammenden Dauerkonflikt einzustellen – und in Putins Welt scheint genau das die bevorzugte Option zu sein.“ Zwar wurde er auf mehreren G20-Gipfeln von westlichen Regierungschefs heftig kritisiert, doch die guten Beziehungen vor allem zu China bewahrten Russland vor dem Rauswurf. Zugleich führte der Kreml sein Arsenal moderner Waffen vor: „Mit seiner Mischung aus Cyber-Kriegsführung, Desinformationskampagnen, gut ausgebildeten Spezialeinheiten und örtlichen Milizen anstelle regulärer Truppen stellt der Ukrainekonflikt eine neue Form des ‹Hybridkriegs› dar.“ Für die Zukunft sollte sich der Westen fragen, wie er die Beziehungen zu Russland neu gestaltet, inklusive der Diskussion über die Sicherheitsarchitektur. Angela Stent rechnet nicht damit, dass es gelingen könnte, Russland zu isolieren oder weltweit mit Sanktionen zu belegen. Wladimir Putin wird den Westen immer wieder auf die Probe stellen, denn er „hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Ausgang des Kalten Krieges und seine Bedingungen neu zu verhandeln.“

Angela Stent: Putins Russland. Übersetzt von Ursula Pesch, Andreas Thomsen, Karsten Petersen und Thomas Pfeiffer; Rowohlt 2019, 576 Seiten

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