„Wer jünger als sechzig ist, hat gute Chancen, Zeuge der radikalen Destabilisierung des Lebens auf der Erde zu werden – massiver Ernteausfälle, apokalyptischer Brände, implodierender Volkswirtschaften, gewaltiger Überschwemmungen, Hunderter Millionen Flüchtlinge aus Gegenden, die wegen extremer Hitze oder andauernder Dürre unbewohnbar geworden sind. Wer unter dreißig ist, wird fast garantiert Zeuge all dessen sein.“ Der Schriftsteller Jonathan Franzen glaubt angesichts der fortschreitenden Erderwärmung nicht, dass der Klimawandel gestoppt werden kann. Klimaforscher erklärten zwar immer wieder, dass die Katastrophe noch verhindert werden könne, wenn konsequent der Ausbau erneuerbarer Energien vorangetrieben würde. Doch die Chance bestünde nur theoretisch und diese Einschränkung würde häufig überhört. Daraus folgen für ihn zwei Möglichkeiten: Weiter auf den Erfolg einer weltweiten Energiewende hoffen und dabei in Kauf nehmen, dass sie nur langsam vorankommt oder „wir akzeptieren, dass das Unheil eintreten wird, und denken neu darüber nach, was es heißt, Hoffnung zu haben.“

Beowulf Sheehan

Jonathan Franzen setzt sich mit beiden Optionen auseinander. Er streift den Stand der Klimaforschung und die Methoden, mit denen Prognosen für die Erderwärmung erstellt werden. Aufmerksam analysiert er den Veränderungswillen der Gesellschaft und hinterfragt den sinnvollen Einsatz von Ressourcen, um beispielsweise den Kohlendioxidausstoß herunterzufahren. Schließlich spannt er den Bogen weiter: Bevor aus Pessimismus Panik entsteht, sollten Demokratien, Rechtssysteme und Gemeinschaften gestärkt werden: „So betrachtet, kann heute alles, was zu einer gerechteren und zivileren Gesellschaft beiträgt, als bedeutsame Klimaaktion aufgefasst werden.“ Dazu zählt für ihn, extreme Vermögensungleichheit zu bekämpfen ebenso wie eine humane Einwanderungspolitik, die Gleichberechtigung der Rassen und Geschlechter, die Pressefreiheit und bessere Gesundheitsversorgung. Jonathan Franzen begreift den Klimawandel als Chance, selbst wenn die Katastrophe nur gemildert, nicht aber verhindert werden könne: „Tun wir weiter das Richtige für den Planeten, ja, aber versuchen wir auch zu retten, was uns ganz speziell am Herzen liegt – eine Gemeinschaft, eine Institution, ein Stück Natur, eine bedrohte Tierart –, und schöpfen wir Kraft aus unseren kleinen Erfolgen. Alles, was wir jetzt an Gutem tun, ist womöglich eine Absicherung gegen die heißere Zukunft, aber das wirklich Bedeutsame daran scheint mir, dass es heute gut ist. Solange wir etwas haben, das wir lieben, haben wir auch etwas, worauf wir hoffen können.“

Jonathan Franzen: Wann hören wir auf, uns etwas vorzumachen? Gestehen wir uns ein, dass wir die Klimakatastrophe nicht verhindern können – Ein Essay. Übersetzt von Bettina Abarbanell, mit einem Interview von Wieland Freund; Rowohlt 2020, 63 Seiten

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„Im Augenblick speichern die Bäume im Amazonasgebiet ein Viertel des jährlich von den Wäldern der Erde absorbierten Kohlendioxids. Doch 2018 wurde Jair Bolsonaro zum Präsidenten von Brasilien gewählt, der versprach, die Regenwaldregion zur Erschließung freizugeben – das heißt zur Abholzung. Wie viel Schaden kann ein einzelner Mensch dem Planeten zufügen? Eine Gruppe brasilianischer Forscher schätzt, dass Bolsonaros Abholzungspläne zwischen 2021 und 2030 einer Freisetzung von etwa 13,12 Gigatonnen CO₂ gleichkämen. Die Emissionen der USA betrugen 2017 etwa fünf Gigatonnen.“ Der Publizist David Wallace-Wells sammelte zehn Jahre lang wissenschaftliche Artikel und führte dutzende Experteninterviews über die Erderwärmung, bevor er seine Zusammenfassung schrieb. Nun führt er allgemeinverständlich vor Augen, wie machtvoll natürliche Systeme ineinandergreifen. Nach seinem Eröffnungssatz „Es ist schlimmer, viel schlimmer, als Sie denken“ beschreibt er ausführlich, was passiert, wenn sich die Erde in den kommenden Jahrzehnten um zwei, drei, vier oder noch mehr Grad erwärmt, denn „selbst wenn die Menschheit wundersamerweise sofort damit aufhören würde, Kohlendioxid in die Luft zu pusten, stände uns immer noch ein gewisser Temperaturanstieg durch den bisherigen Ausstoß bevor.“ Es geht also nur darum, wie sich unser Lebensraum verändern wird. Zwölf Plagen, vom Hitzetod über Wassermangel und Luftverpestung bis zum Wirtschaftskollaps, schränken ihn in Chaos-Szenarien ein. Nicht nur für die Menschheit geht es darin um das nackte Überleben.

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David Wallace-Wells setzt da an, wo Klimaforscher oft ihre Arbeit abschließen: Er kombiniert die Ergebnisse, treibt sie manchmal drastisch auf die Spitze. Er rüttelt auf, indem er die Apokalypse real erscheinen lässt. Doch noch muss es nicht soweit kommen. Wenn seit vielen Jahren so viel Expertise in Sachen flächendeckender Gefahr auf dem Tisch liegt, muss die Menschheit handeln, um den eigenen Untergang zu verhindern: „Klimaaktivisten verkünden gern, dass wir schon heute über alle nötigen Werkzeuge verfügen, um einen katastrophalen oder auch nur einen einschneidenden Klimawandel zu verhindern. Und das stimmt. Aber der politische Wille ist keine gering zu schätzende Zutat, und es ist nicht immer genügend davon vorhanden. Schließlich hätten wir auch die nötigen Hilfsmittel, um Armut, Epidemien und Gewalt gegen Frauen auszumerzen.“ Während David Wallace-Wells dieses Buch schrieb, wurde er Vater einer Tochter. Auch ihre Zukunft malt er aus, in optimistischen Farben. Es zeichnet sich bereits ab, das die junge Generation den Anstieg der Erderwärmung nicht einfach sich selbst über lassen wird: „Wie viel werden wir tun, um die Katastrophe aufzuhalten, und wie schnell? Das sind die einzigen beiden Fragen von Bedeutung.“

David Wallace-Wells: Die unbewohnbare Erde – Leben nach der Erderwärmung. Übersetzt von Elisabeth Schmalen; Ludwig 2019, 336 Seiten

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