Wie unterscheiden sich Diktatoren von Demokraten, was kennzeichnet autoritäre Verführer, wer stoppt sie? Diesen Fragen gehen die Harvard-Politikwissenschaftler Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ihrem spannenden und lehrreichen Buch nach. Weil potenziellen Autokraten am demokratischen System vieles nicht passt, erfüllen sie mindestens eines dieser Merkmale:
1. Sie missachten demokratische Spielregeln oder lehnen sie ab, zweifeln zum Beispiel Wahlergebnisse an;
2. Sie diskreditieren politische Gegner, erklären sie etwa zum Sicherheitsrisiko oder nennen sie kriminell, sprechen ihnen die Legitimität ab;
3. Sie tolerieren Gewalt gegen ihre Gegner oder ermutigen dazu;
4. Sie sind bereit, Bürgerrechte und die Pressefreiheit einzuschränken.
Steven Levitsky und Daniel Ziblatt konzentrieren sich in ihrer Analyse auf die USA, nehmen allerdings auch die Entwicklung in Europa und Lateinamerika unter die Lupe.

Stephanie Mitchell

„Früher wurden Demokratien vor allem durch einen Militärputsch oder einen gewaltsamen Umsturz gekippt, seit dem Ende des Kalten Krieges sterben sie eher an der Wahlurne. Es gibt kaum Massenproteste, denn die Wähler merken gar nicht, dass es passiert“, sagt Daniel Ziblatt (auf dem Foto rechts) im Interview. Denn ins Amt gewählte Autokraten beginnen unter anderem zügig damit, Führungspositionen in Kontrollbehörden auszuwechseln oder die Zusammensetzung von Verfassungsgerichten zu ändern. Das verkaufen sie als notwendige Maßnahmen, um die Lage der Bevölkerung zu verbessern. In Wirklichkeit wollen sie ihre Macht absichern. Wachsende wirtschaftliche Ungleichheit ebnete ihnen zuvor den Weg. Donald Trump, der inzwischen alle vier Autokraten-Merkmale erfüllt, profitierte von dieser Stimmung, sagt Daniel Ziblatt: „Wenn sich für Menschen mit einem durchschnittlichen Einkommen die Lebenssituation nicht verbessert, obwohl die Wirtschaft wächst, dann spielt das eine große Rolle. Wenn sie an die Zukunft denken und den Eindruck haben, dass es ihren Kindern nicht so gut gehen wird wie ihnen selbst, dann können sie sich vielleicht nur schwer vorstellen, dass die Demokratie das ändern wird.“ So konnte Trump als völliger Außenseiter mit dem Versprechen, Amerika wieder großartig zu machen, die Wahl gewinnen. Zudem half ihm, dass im politischen System die Gegensätze stark betont wurden: „Polarisierung ist eine Gefahr für die Demokratie, und durch Filterblaseneffekte in den sozialen Medien nimmt sie im rechten und im linken Spektrum zu. Allerdings wirkt sie nicht so stark wie Veränderungen in der Wirtschaft und der demografische Wandel.“

Steven Levitsky und Daniel Ziblatt sensibilisieren für die Werte der Demokratie. In ihrem Buch entwerfen sie schließlich ein Konzept, mit dem die Amtszeit von Donald Trump begrenzt werden könnte: Alle prodemokratischen Kräfte müssen sich zusammenschließen, um ihn auf demokratischem Wege abzulösen. Das würde auch die Institutionen stärken und das Vertrauen in die Demokratie neu beleben.

Steven Levitsky, Daniel Ziblatt: Wie Demokratien sterben – Und was wir dagegen tun können. Übersetzt von Klaus-Dieter Schmidt; Deutsche Verlags-Anstalt 2018, 320 Seiten

„Seit fast einem Jahrhundert ist die liberale Demokratie in weiten Teilen der Welt das vorherrschende politische System. Dieses Zeitalter der demokratischen Dominanz könnte bald zu Ende gehen“, fürchtet der Politikwissenschaftler Yascha Mounk. Er lehrt an der Harvard-University und nimmt in seinem Buch die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA zum Anlass, den Zustand der liberalen Demokratie zu untersuchen. Sie vereint demokratische Prinzipien wie gewählte Institutionen, die den Willen der Bevölkerung durchsetzen, mit der Garantie von Grundrechten, etwa der Rede-, Religions-, Presse- und Versammlungsfreiheit, auch für Minderheiten. So wie Demokratien die Rechtsstaatlichkeit verlieren können, besteht auch die Gefahr, dass Staaten undemokratisch werden: „Jahrzehntelang hatte das Zusammentreffen komplizierter technologischer, wirtschaftlicher und kultureller Voraussetzungen den Liberalismus und die Demokratie zusammengehalten. Diese Bindung löst sich nun rasant auf.“ Yascha Mounk wurde 1982 in München geboren, die jüngsten Entwicklungen in Europa und speziell in Deutschland stehen im Mittelpunkt seiner Analyse. Lange konnten in der liberalen Demokratie verschiedene Interessen in einer Gesellschaft austariert werden.

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Doch in Zeiten beispielsweise wirtschaftlicher Unsicherheit offenbart dieses System Angriffspunkte für Populisten, die wachsende Widersprüche ausnutzen. Wenn sie eine nationale Identität beschwören oder Ressentiments gegen Minderheiten schüren, spielen sie Demokratie und Rechtsstaat gegeneinander aus: „Leider ist Trump keineswegs die Ausnahme. In Russland und der Türkei ist es gewählten Machtprotzen gelungen, junge Demokratien in Diktaturen mit dünnem demokratischem Anstrich zu verwandeln. In Polen und Ungarn unterminieren populistische Regierungschefs nach demselben Muster die freien Medien, zerstören unabhängige Institutionen und unterdrücken zunehmend die Opposition.“

Trotzdem hält Yascha Mounk liberale Demokratien für stark genug, selbst eine vorübergehende Regierungsübernahme durch Populisten zu verkraften. Doch um solche Verhältnisse nicht normal werden zu lassen, müssten alle Verteidiger der liberalen Demokratie gemeinsam dagegen protestieren, um sie so schnell wie möglich abzulösen. Damit es so weit nicht kommen muss, sollte die Diskussion über den Zustand der Demokratie mutig und konstruktiv geführt werden. Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag dazu.

Yascha Mounk: Der Zerfall der Demokratie – Wie der Populismus den Rechtsstaat bedroht. Droemer 2018, 352 Seiten