„Für Südafrika wurde Mandela, was George Washington für die USA und Mahatma Gandhi für Indien waren: Befreier, Gründer und Sinnstifter der Nation.“ Wie sich Nelson Mandela zu dieser Lichtgestalt entwickelte und sein Land nach dem Ende der Apartheid vor einem Bürgerkrieg bewahrte, schildert Stephan Bierling in seiner detaillierten Biografie. Er zeichnet ein differenziertes Bild jenes Mannes, der seine Freiheit für seine Ideale und Überzeugungen opferte und mit natürlicher Autorität viele Menschen zum Umdenken bewegte. Stephan Bierling wollte herausarbeiten, was Mandela antrieb, „wie sich seine politische Philosophie entwickelte und wie er zur moralischen Instanz Südafrikas, ja der Welt aufstieg“, was ihm mit gründlicher Recherche gelingt. Wie fand der Rechtsanwalt Mandela seinen Weg in die Politik, zum African National Congress (ANC) und zum bewaffneten Kampf? War er Marxist, gar Kommunist? Wie gelang es ihm schon in der Haft auf Robben Island, mit den Behörden auf Augenhöhe zu verhandeln? Wie erfasste die „Release-Mandela-Kampagne“ die ganze Welt?

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Stephan Bierling geht ausführlich auf diese Fragen ein. Schließlich schildert er den Verhandlungsprozess der Regierung mit Nelson Mandela. Schon 1981 interessierte sich Justizminister Kobie Coetsee näher für ihn. Doch erst 1987, als Südafrika weltweit isoliert am Abgrund stand, begann ein Team von hochrangigen Beamten unter Leitung von Coetsee mit Mandela streng geheime Gespräche. Sie markierten bereits den Anfang vom Ende der weißen Vorherrschaft. Die politische Biografie von Nelson Mandela ist eng verknüpft mit der Geschichte des ANC. Als er mit Walter Sisulu und den anderen im Rivonia-Prozess (in Rivonia befand sich das Hauptquartier des militärischen Arms des ANC) verurteilten Kämpfern im Gefängnis saß, lenkte Oliver Tambo, früherer Kanzlei-Partner von Mandela, den ANC aus London. Später, als Präsident, stimmte Mandela nicht immer mit der ANC-Führung überein, die Folgen dieser Differenzen sind bis heute spürbar.

Breiten Raum nimmt die Beziehung von Nelson Mandela und Winnie, seiner zweiten Frau ein. Mit ihr war er während seiner Haft verheiratet, sie musste die Familie allein zusammenhalten, wurde vom Regime verfolgt, misshandelt und eingesperrt. Winnie radikalisierte sich weiter, während er das ganze Land zur Versöhnung aufforderte. Auch darüber zerbrach ihre Ehe. Stephan Bierling fängt die Wende- und Höhepunkte im Leben Nelson Mandelas detailliert ein, diese Biografie ist spannende und lohnende Lektüre.

Stephan Bierling: Nelson Mandela – Rebell, Häftling, Präsident. C.H.Beck 2018, 416 Seiten

Am 10. Dezember 1993 erhielt Nelson Mandela – gemeinsam mit Frederik de Klerk – in Oslo den Friedensnobelpreis. Dabei sagte er über die neue Welt, deren Abbild Südafrika werden soll: „Dies muss eine Welt sein, die auf Demokratie und der Achtung der Menschenrechte beruht, frei von den Schrecken des Hungers, der Armut, des Mangels, der Unwissenheit. Frei von der Geißel der Angriffs- und Bürgerkriege und den damit verbundenen millionenstarken Flüchtlingswellen.“ Mandelas Hoffnung, die Welt würde künftig diesem Anspruch folgen, erfüllte sich noch nicht. Seine Ansprache in Oslo gehört zu den Beiträgen des Bandes „Meine Waffe ist das Wort“ mit Ausschnitten aus Reden, Interviews, Buchmanuskripten und Briefen. Darin geht es um alles, was Nelson Mandela wichtig war: Werte wie Freiheit, Demokratie und Frieden; ein Leben mit der Familie und in Würde sowie die Zukunft folgender Generationen. Es gelang ihm immer wieder, seine Gedanken kurz und prägnant in wenige Sätze zu kleiden. Erzbischof Desmond Tutu, ebenfalls Friedensnobelpreisträger, nennt in seinem Vorwort diese Zitatesammlung Mandelas Testament für die Zukunft.

Nelson Mandela: Meine Waffe ist das Wort. Mit einem Vorwort von Desmond Tutu, übersetzt von Elisabeth Liebl; Penguin 2018, 192 Seiten