Jedes Jahr erscheinen etwa 100.000 Bücher in Deutschland, nur wenige werden überdurchschnittlich oft verkauft. „Ein Platz auf der Bestsellerliste ist kein Qualitätsmerkmal für das betreffende Werk, aber doch ein Beleg dafür, dass es auf irgendeine Weise jetzt gerade, heute, zu uns spricht“, schreibt der Literaturkritiker Jörg Magenau. Um herauszufinden, welche Faktoren für Kassenknüller sorgen, griff er zu Bestsellern der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte. Eine sehr wichtige Rolle spielte immer die Stimmung, in der sie veröffentlicht wurden. Welchen Herausforderungen musste sich die Gesellschaft stellen, welche Themen prägten ihre Diskussionen? Was sagte die Wahl dieser Werke über uns aus, die Gemeinschaft hinter den bedruckten Seiten? Erst wenn sich beispielweise Neugier oder Wissensdurst vieler Leserinnen und Leser trafen und mit einem bestimmten Buch im richtigen Augenblick optimal bedient wurden, erreichte es hohe Auflagen. Jörg Magenau reflektiert diese Wechselwirkung unterhaltsam und lehrreich. Er erinnert auch an das „Bestsellergesetz, an frühere Erfolge und damit an Bekanntes anzuschließen, es in der Wiederholung aber in etwas Neues, Aktualitätsgebundenes zu verwandeln.“ Die Persönlichkeit der Autorinnen und Autoren, ihre Bekanntheit aus anderen Medien und oder eine prominente Empfehlung gehören ebenfalls zum Erfolgsrezept.

Jörg Magenau: Bestseller. Bücher, die wir liebten – und was sie über uns verraten. Hoffmann und Campe 2018, 288 Seiten

Eigentlich hätte der Erotik-Roman „Fifty Shades of Grey“ gar kein Bestseller werden können: zu viel Sex. Dieses Thema erscheint in Nicht-Bestsellern „im Durchschnitt zwölfmal so häufig wie in Bestsellern“, schreiben die Sprachexperten Jodie Archer und Matthew Jockers. Mit ausgefeilten statistischen Untersuchungsmethoden entwickelten sie einen Algorithmus, der aus einem beliebigen Bücherstapel die potenziellen Publikumslieblinge herausfiltern soll. Denn Computer können inzwischen Texte analysieren, Muster in verschiedenen Quellen erkennen, Ergebnisse bewerten und eine Rangliste aufstellen. Ihre Trefferquote lag zwischen 80 und 90 Prozent, sie forschten allerdings auf dem amerikanischen Markt nach Hits. Wenn für einen großen Teil der Bestseller gilt, dass sie von bereits erfolgreichen Autorinnen und Autoren geschrieben werden, wollen Jodie Archer und Matthew Jockers Verlage dabei unterstützen, Nachwuchsliteraten eine Chance zu geben. Denn ihr „Computermodell interessiert sich nicht für Namen und Reputation und kann mit der gleichen Treffsicherheit Prognosen über unbekannte Autoren treffen.“ Sie ermittelten Faktoren, die offenbar die Wahrscheinlichkeit erhöhen, einen Bestseller zu landen. Und sie erklären auch, weshalb „Fifty Shades of Grey“ weniger mit BDSM, sondern mit den Themen „menschliche Nähe“ und „Vertrauen“ punkten konnte.

Jodie Archer, Matthew L. Jockers: Der Bestseller-Code – Was uns ein bahnbrechender Algorithmus über Bücher, Storys und das Lesen verrät. Übersetzt von Sascha Mattke; Plassen 2018, 248 Seiten