Wo auch immer Daniel Craig als James Bond seine Gegenspieler aufspürt, der Journalist Siegfried Tesche verliert ihn nicht aus den Augen. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit dem berühmtesten Agenten der Welt, mit seinem Schöpfer Ian Fleming, den Romanen und Filmen über 007. Er besuchte die Dreharbeiten zahlreicher Bond-Produktionen und verfolgte die Karrieren der 007-Darsteller. Mit dem James Bond Atlas greift er eine Idee der Filmproduzenten auf. Sie wollten die Zuschauerinnen und Zuschauer im Kino Anfang der 1960er Jahre mit an fremde und geheimnisvolle Schauplätze nehmen: „Wer kannte 1962 schon Jamaika oder wusste drei Jahre später etwas über die Bahamas? Im Rahmen von Bonds abenteuerlichen Erlebnissen wirkte diese Welt noch ein bisschen exklusiver und exotischer. Diese Tatsache trug sicherlich zum Erfolg der Bücher und später auch der Filme bei. Denn die durchschnittlichen Leserinnen und Leser der Bücher hatten kaum die finanziellen Mittel, Fernreisen zu unternehmen. Dies trifft umso mehr auf das Kinopublikum der Bond-Filme der 60er und 70er Jahre zu.“

Franz Fender

Siegfried Tesche spielt in seinem Nachschlagewerk geschickt mit der inzwischen gewachsenen Weitläufigkeit des Publikums. Für jeden Film markierte er auf einer zugehörigen Weltkarte Drehorte, an denen nur Filmsets errichtet wurden sowie Drehorte, die auch reale Schauplätze sind. Schließlich wurden auch reine Schauplätze vermerkt, die zwar zu sehen sind, an denen aber nicht gedreht wurde. So lässt sich die Handlung der einzelnen Filme und zugleich ihre Entstehungsgeschichte nachvollziehen. Beispielsweise fährt Bond in Spectre tatsächlich durch die Straßen von Rom, doch das Treffen der mysteriösen Geheimorganisation wurde in Blenheim Palace, einem der größten Schlösser Englands, in der Grafschaft Oxfordshire gefilmt. Oft nennt er die Adressen von Hotels, Villen und Restaurants, egal unter welchem Namen sie im Film auftauchen. Neben den Weltkarten für jeden Film legte er zudem detaillierte Pläne für Länder und einzelne Städte an, die im Bond-Universum ihren Platz fanden.

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Manche Schauplätze, an denen tatsächlich gedreht wurde, sind öffentlich zugänglich. Dazu gehört Room 34, der sogenannte Sackler Room, in der National Gallery am Trafalgar Square in London. Dort saß im November 2011 Daniel Craig für eine Szene in Skyfall vor der Kamera. „Sollte ein Handlungsort dennoch in mehreren Filmen vorkommen, wie etwa der Markusplatz in Venedig, dann muss er auf verschiedene Arten in die Handlung integriert werden, um einen Wiederholungseffekt zu vermeiden. Erinnerungen an vergangene Abenteuer sind so gut wie ausgeschlossen in Bonds Filmwelt“, erklärt Siegfried Tesche eine besondere Herausforderung bei der Motivsuche für Bond-Filme.

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Auch auf Jamaika, wo Ian Fleming seine Bond-Romane schrieb, entstanden mehrfach Aufnahmen. Bereits für den ersten Film der offiziellen Reihe James Bond – 007 jagt Dr. No mit Sean Connery reiste das Produktionsteam in die Karibik und drehte dort Anfang 1962, der Autor besuchte die Crew. Zehn Jahre später wurde das Fleming-Anwesen Goldeneye direkt am Meer zur Kulisse für Leben und sterben lassen: „Wenn Bond, dieses Mal gespielt von Roger Moore, nachts vor der entscheidenden Auseinandersetzung auf der (fiktiven) Insel San Monique landet, handelt es sich beim Drehort um Flemings Strand.“ Im April 2019 präsentierten die Produzenten dort die Besetzung für Keine Zeit zu sterben, anschließend drehte Daniel Craig auf der Insel, berichtet Siegfried Tesche. Schließlich rundete er seinen Atlas mit Beiträgen beispielsweise über Ian Fleming und die Welt in der Zeit des Kalten Krieges ab. Während meiner Arbeit als Filmjournalist lernte ich ihn als akribisch recherchierenden und gut vernetzten Kollegen kennen. Damals drehte Pierce Brosnan als James Bond in Hamburg Szenen für Der Morgen stirbt nie, Siegfried Tesche war über die laufende Produktion bestens informiert.

Siegfried Tesche: 007 – Der James Bond Atlas 1954-2020. Filme – Schauplätze – Hintergründe. Mit 550 Fotos; LangenMüller 2019, 228 Seiten

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Im Juli 1943 arbeitet Ian Fleming für den britischen Geheimdienst und reist nach Jamaika, um an einer Konferenz teilzunehmen. Ein Freund aus Kindheitstagen, Agent wie er, besitzt auf der Insel ein Anwesen und lässt ihn bei sich wohnen. „Dort verliebt Fleming sich in die Insel, auf der seine berühmteste Schöpfung das Licht der Welt erblicken wird, eine Ikone der Popkultur: der britische Geheimdienstagent James Bond“, betont Matthew Parker. Auf dem Rückflug verkündet Fleming, er werde sich nach Kriegsende auf Jamaika niederlassen und Bücher schreiben. Bald darauf kauft er, ohne es gesehen zu haben, ein Grundstück und benennt es nach einer Geheimoperation für eine mögliche Verteidigung Gibraltars, die er mit geplant hatte: Goldeneye. „Von 1946 bis zu seinem Tod achtzehn Jahre später verbrachte Ian Fleming jedes Jahr zwei Monate in dem Haus, das er sich an der Nordküste Jamaikas gebaut hatte, an einer erhöhten Stelle, zu deren Füßen ein weißer Sandstrand sowie, nicht weit entfernt, ein Korallenriff lagen.“

Michael Trow

Matthew Parker kennt sich in Mittelamerika gut aus. Geboren in El Salvador, wuchs er in England, Norwegen und auf Barbados auf. Er folgte den Spuren Flemings auf Jamaika und interviewte beispielweise dessen langjährige Freundin und Geliebte Blanche Blackwell, die über seine Entwicklung als Inselbewohner und die Geschichte der Insel ausführlich berichtete. Im Buch verbindet er den Weg Jamaikas vom exotischen, faszinierenden Ort in einem entlegenen Winkel des britischen Empire zum unabhängigen Inselstaat mit einem entscheidenden Abschnitt des Lebens von Ian Fleming. Außerdem blickt er hinter die Entstehungsgeschichte der James Bond-Romane, erzählt von Recherchen und einem stets unruhigen Privatleben. Fleming war im Rang eines Commander nach Jamaika gekommen. So sprach ihn später sein Hauspersonal an und auch Bond sollte diesen Titel tragen.

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Um den 17. Februar 1952 herum, mitten in den Vorbereitungen der Hochzeit mit Ann Rothermere, setzte er sich an die Schreibmaschine und begann mit der Arbeit an Casino Royale: „Wenn Fleming später gefragt wurde, was ihn zur Erschaffung von James Bond veranlasst habe, erklärte er für gewöhnlich – sehr zu Anns Verärgerung –, er habe mit dem Schreiben begonnen, um ›das scheußliche Schreckgespenst der Ehe‹ zu verscheuchen. Doch dies war nur ein Aspekt eines ganzen Bündels an Sorgen, die sich um Geld, seine Gesundheit sowie den Zustand seines Landes und des Empire drehten.“ Flemings Lieblingsplatz war das Riff vor der Bucht. Stundenlang ließ er sich im Wasser treiben und tauchte. Dort „fand Fleming die perfekte Mischung aus zupackendem Handeln und Sinnlichkeit – genau die Kombination, die für James Bond charakteristisch werden sollte.“ Enge Freunde bemerkten, dass er das Leben immer auf seltsame Weise schwer nahm, außer auf Jamaika. Dort verlor seine „Persönlichkeit die scharfen Kanten, er wirkte nicht mehr angespannt und unnahbar, sondern bescheiden.“

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1989 verkaufte Chris Blackwell, Sohn von Flemings Langzeit-Freundin Blanche Blackwell, sein Plattenlabel Island Records und baute Goldeneye zu einem Luxusresort um. Einige Jahre zuvor hatte er das Anwesen von der Fleming-Familie erworben. Er gründete eine Stiftung, mit der er Sportvereine und Schulen unterstützt sowie die Folgen von Umweltverschmutzung bekämpft. Zu den Gästen zählten Stars der Film-, Mode- und Musikwelt: „Sting etwa schrieb in Goldeneye »Every Breath You Take«, und Bono und the Edge von U2 den Titelsong des Films Goldeneye, interpretiert von Tina Turner“. Inzwischen finden dort Filmfestivals und andere kulturelle Veranstaltungen statt. Matthew Parker zeichnet ein lesenswertes Porträt eines widersprüchlichen Menschen in einem von tiefen Umbrüchen geprägten Land.

Matthew Parker: Goldeneye – Ian Fleming und Jamaika – Wo James Bond zur Welt kam. Übersetzt von Felix Mayer; Septime 2019, 504 Seiten

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