„Bidens Kandidatur setzte auf die Annahme, dass das Pendel der Geschichte, wenn es von Trump wegschwingen sollte, eher in Richtung Erfahrung und behutsamer Reformen als in Richtung Jugend und progressiven Eifers ausschlagen würde. Er wollte die Amerikanerinnen und Amerikaner überzeugen, dass seine Erfahrungen mit einer Mittelschichtexistenz sowie persönlichen Verlusten und Leiden seine Defizite überwogen.“ So fasst der Journalist Evan Osnos in seinem vielschichtigen Porträt zusammen, wie der künftige Präsident der USA eine Mehrheit erst in seiner Partei sowie unter den Wählerinnen und Wählern gewann. Joe Biden musste in seinem Leben zahlreiche Schicksalsschläge verkraften. 1972, kurz nach seiner Wahl in den Senat, kamen seine Frau und seine Tochter bei einem Autounfall ums Leben, er zog seine beiden Söhne als alleinerziehender Vater groß. 2015 starb sein Sohn Beau an den Folgen eines Hirntumors.

Pete Marovich

Evan Osnos schrieb seit 2011 Beiträge über Joe Biden für das Magazin The New Yorker, später interviewte er ihn mehrfach. Ihn interessierte Bidens „breit gefächerte Erfahrung, seine emotionale Intensität und die Tatsache, dass es ihm schwerfiel, seine Gedanken unter jener Art von Mist zu verbergen, den so viele Washingtoner Politiker im Gespräch mit Journalisten anhäufen, um nicht verraten zu müssen, was sie wirklich denken. Natürlich deutet auch Biden die Wahrheit nach seinen Bedürfnissen um, aber er ist nicht so geschickt darin wie andere.“ So hinterfragt er auch die politische Bilanz des früheren Senators, der sich vor allem als Außenpolitiker profilierte. Biden stimmte beispielsweise für die Deregulierung der Finanzmärkte, die Invasion im Irak und 1994 für eine umstrittene Strafrechtsreform. Allerdings unterstützten auch andere führende Demokraten diese Entscheidungen. Später, als Vizepräsident unter Barack Obama, gelang es ihm aufgrund seiner langjährigen Beziehungen im Kongress, mit den Republikanern politische Lösungen zu finden. Evan Osnos erwartet, dass er als Präsident diese Erfahrungen nutzt, um beispielsweise den Mindestlohn zu verdoppeln und die Gewerkschaften zu stärken. Damit könnte er zugleich die demokratische Basis stabilisieren. Sein Ziel würde es sein, den Amerikanern zu beweisen, „dass der Staat in der Lage sei, ihre Bedürfnisse zu erfüllen.“

Evan Osnos: Joe Biden – Ein Porträt. Übersetzt von Ulrike Bischoff und Stephan Gebauer; Suhrkamp 2020, 263 Seiten

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Der Publizist Ezra Klein analysiert, wie stark die Polarisierung das politische System der USA prägt, welche Faktoren diese Entwicklung vorantreiben: „Gruppenidentität und Gruppenstatus – das sind die beiden Dinge, über die wir in der amerikanischen Politik so häufig streiten. Diese Auseinandersetzungen kommen in den Debatten über Politik und Macht zum Ausdruck, können in Wahrheit aber weder von der einen noch von der anderen beigelegt werden.“ Er untersucht, warum Demokraten und Republikaner bestimmte Bevölkerungsgruppen erreichen und an sich binden, weshalb die beiden Lager weiter auseinanderdriften und sich hartnäckig blockieren. Da überrascht es nicht, wenn sich die Bevölkerung enttäuscht von der Politik abwendet. Um dies zu korrigieren, rät er zunächst, achtsam mit Identität umzugehen und die Wirkung von Politik neu zu entdecken, um „den größtmöglichen Fortschritt zu erzielen und Gewalt so weit wie möglich zu vermeiden.“

David Zhou

Intensiv setzt sich Ezra Klein auch mit seiner eigenen Branche, den Medien, auseinander. Er schrieb für die Washington Post, gründete das Nachrichtenportal Vox mit, kommentierte Politik im Fernsehen. Nun berichtet er von wachsendem Konkurrenzdruck, welcher auch die Nachrichtenproduktion verändert und stellt ernüchtert fest, dass Politik nur noch von den politisch Interessierten konsumiert wird: „In den politischen Nachrichten sprechen wir viel über die Polarisierung von links und rechts, aber nicht genug über die Spaltung, die ihr vorausgeht: den Graben, der die Interessierten von den Uninteressierten trennt.“ Ezra Klein stellt die zunehmende Spaltung der Gesellschaft in einen größeren, historischen Zusammenhang und filtert dafür Studien von Psychologen, Soziologen und Kommunikationswissenschaftlern. Wie beispielsweise der demografische Wandel die Parteien verändert, erklärt er auch am Beispiel von Joe Biden, der im Wahlkampf zwar immer wieder Obamas Amtsführung lobte, zugleich Abschiebungen in der Frühphase von dessen Regierung kritisierte: „Ein demokratischer Politiker auf Bundesebene zu sein bedeutet 2020, bei Hautfarbe und Immigration Positionen zu vertreten, die 2008 noch als tödlich gegolten hätten.“ Ezra Klein umreißt er die schwierige Ausgangslage der neuen Regierung und warnt vor weiterem Demokratieverlust.

Ezra Klein: Der tiefe Graben – Die Geschichte der gespaltenen Staaten von Amerika. Übersetzt von Katrin Harlaß; Hoffmann und Campe 2020, 384 Seiten

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