Weshalb „Der Auschwitz-Prozess“ ein Wendepunkt in der Aufarbeitung der Nazizeit durch die bundesdeutsche Justiz war, erklärt der Rechtsanwalt Ralph Dobrawa in seiner Analyse des Verfahrens. Von Dezember 1963 bis August 1965 standen in Frankfurt am Main erstmals SS-Angehörige wegen ihrer Verbrechen in einem Konzentrationslager vor einem westdeutschen Gericht.

Was ist für Sie die wichtigste Lehre aus dem Ausschwitz-Prozess?

Der Auschwitz-Prozess führte in der damaligen Bundesrepublik zu einem Wandel beim Umgang mit belasteten NS-Tätern, die in den fünfziger Jahren wieder problemlos in das gesellschaftliche Leben integriert wurden und zum Teil in verantwortlichen Positionen tätig waren. Die bis dahin auch in der Justiz deutlich erkennbare Schlussstrichmentalität des Vergessens und Verdrängens wurde einer starken Belastungsprobe unterzogen und führte zu einer neuen Herangehensweise. Die Erinnerung an die Opfer und die Aufklärung der staatlich gelenkten und geleiteten Massenmordmaschinerie stand erstmals im Mittelpunkt. Zeugen aus der halben Welt, die das Grauen von Auschwitz überlebt haben, hatten Gelegenheit, ihren entscheidenden Teil zur Wahrheitsfindung beizutragen.

Wie genau hat die westdeutsche Justiz ihre eigene Nazi-Vergangenheit aufgearbeitet?

Eine Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit in der Justiz der BRD hat im Prinzip nicht stattgefunden. Kein einziger Richter wurde für sein Handeln während der Jahre 1933 bis 1945 zur Verantwortung gezogen, obgleich nicht wenige auch an der Verhängung von Todesurteilen beteiligt waren. Erst in den 1990-er Jahren hat der Bundesgerichtshof in einem Rückblick sich kritisch mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandergesetzt und sich gewissermaßen selbst attestiert, dass er in den Jahrzehnten zuvor bei dieser Frage versagt hat.

Mit Blick auf den laufenden NSU-Prozess in München: Hat die Justiz aus dem Auschwitz-Prozess gelernt?

Ich denke schon, dass die Justiz aus dem Auschwitz-Prozess gelernt hat. Die heutige Richtergeneration ist selbst nicht mehr belastet aufgrund des langen Zeitablaufs und hat auch ansonsten eine andere Haltung zum Erfordernis der Aufklärung, auch um Wiederholungen von Auschwitz vorzubeugen.

Ralph Dobrawa: Der Auschwitz-Prozess – Ein Lehrstück deutscher Geschichte. Das Neue Berlin 2013, 256 Seiten