Alle sind schuld: Bürgerinnen und Bürger, die sein Büro ständig mit Anfragen bombardieren; Lobbyisten, die ihm mit Einladungen die Zeit rauben; Journalisten, die immer die falschen Fragen stellen und vor allem die böse Regierung, die mit ministerialer Macht jede Initiative des Parlamentes plattmacht. Marco Bülow, direkt gewählter SPD-Bundestagsabgeordneter aus Dortmund, beschreibt seinen engen „Spielraum“ als Mitglied einer Regierungsfraktion und will sein Abnicken jedes noch so falschen Gesetzes rechtfertigen. Vor allem aber liefert er erschütternde Innenansichten des Koalitionsklüngels. Jetzt verlangt Bülow mehr Rückgrat von den MdB und gelobt Besserung. Offenbar hat er schlicht übersehen, dass seine Ideen zur Eindämmung des Lobbyismus von der Linken längst auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Peinlich!

Marco Bülow: Wir Abnicker – Über Macht und Ohnmacht der Volksvertreter. Econ 2010, 240 Seiten

Wohin permanentes Abnicken der Sozialdemokraten führt, schildert ausführlich der Isländer Einar Már Gudmundsson. Seine Heimat leidet bekanntlich schwer unter den Folgen der Finanzkrise. Allerdings bescheinigt er den politisch Verantwortlichen, aus dem Schlamassel nichts lernen zu wollen: „Wo stehen Sozialdemokraten eigentlich? Kratzt sich keiner von ihnen verlegen am Kopf? Erkennen sie nicht, dass die Aasgeier der freien Marktwirtschaft die Partei auseinandergenommen und ihre ursprüngliche Politik abgedrängt haben?“ Drastisch beschreibt er, wie die Bevölkerung für die Kosten des Desasters geradestehen muss. Gleichzeitig werden Bankerboni weiter gezahlt, Profiteure der Krise geschont und die Korruption zwischen Politik und Wirtschaft vertuscht. Gudmundsson fordert scharfes Nachfragen bei Abnickern geradezu heraus – lesenswert!

Einar Már Gudmundsson: Wie man ein Land in den Abgrund führt – Die Geschichte von Islands Ruin. Übersetzt von Gudrun Kloes; Carl Hanser 2010, 208 Seiten