„Ich will vor Ort sein, die Praxis erleben, den realen Alltag an der Grenze. Ich weiß, dass es hässlich sein kann, dass es gefährlich sein kann, aber ich weiß keinen besseren Weg, die Grenze wirklich zu verstehen.“ So erklärt in No Man’s Land der Ich-Erzähler seiner Mutter, weshalb er nach dem Studium der Internationalen Beziehungen unbedingt die amerikanisch-mexikanische Grenze schützen will. Francisco Cantú schrieb ein Memoir, ein erzählendes Sachbuch, und berichtet darin von einer aufregenden, ungewöhnlichen und prägenden Phase seines Lebens. Aufgewachsen in der Nähe der Grenze, in der Wüste und in Nationalparks, meinte er, auf diesen Einsatz gut vorbereitet zu sein. Beider Sprachen mächtig und mit den Kulturen auf beiden Seiten der Grenze vertraut, absolvierte er die Ausbildung bei der Border Patrol. Doch was er erlebte, überstieg seine Befürchtungen. Er deportierte illegale Einwanderer, oft rettete er sie vor dem Verdursten. Viele von ihnen irrten tagelang durch die Wüste, weil ihre Schlepper sie verloren hatten.

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Er sicherte Drogenfunde und spürte Transportrouten auf. Später, nachdem er den Dienst an der Grenze quittiert hatte, wurde er gefragt, ob er auch Mitglieder der Kartelle erwischt habe: „Wir haben meist die Kleinen verhaftet – Schmuggler, Scouts, Mulis, Schlepper. Aber vor allem habe ich Migranten geschnappt, Leute, die sich ein besseres Leben aufbauen wollten.“ Während der Arbeit im Hauptquartier in El Paso erschloss sich ihm das ganze Ausmaß des Drogen- und Menschenhandels. Francisco Cantú schildert viele einprägsame Begegnungen im Grenzgebiet. Familien werden auseinandergerissen, die Drogen- und Menschenschmuggler gewalttätiger. Er erzählt die Geschichte der Grenze und belegt mit zahlreichen Expertenberichten, wie sich das Leben in der Grenzregion verändert. Migranten werden immer weiter kriminalisiert und härter bestraft, die USA und Mexiko entfernen sich voneinander. Seine spannende Reportage liefert viel Diskussionsstoff für die Einwanderungsdebatte.

Francisco Cantú: No Man’s Land – Leben an der mexikanischen Grenze. Übersetzt von Matthias Fienbork; Carl Hanser 2018, 240 Seiten

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„Das Thema Grenzzaun ist in der amerikanischen Politik sowohl für seine Gegner als auch seine Befürworter ein Reizthema, wobei Letztere besonders im Fokus von Mainstreammedien und führenden Politikern stehen. Die Zustimmung zu der Sperranlage fällt in den direkt an der Grenze gelegenen Gemeinden erstaunlicherweise schwach aus; die Nähe zu ihr macht es tendenziell deutlicher, wie wenig effektiv sie dabei ist, der illegalen Einwanderung Einhalt zu gebieten und sie nicht einfach nur umzuleiten.“ Wendy Brown veröffentlichte ihr Buch erstmalig 2010, weltweit wurden seitdem weitere Mauern gebaut. Die Politikwissenschaftlerin untersucht, in welchem Verhältnis der Wunsch nach Abschottung und der Gewinn von Souveränität tatsächlich stehen, wie sich die Demokratie in diesem Spannungsfeld entwickelt.

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Diejenigen, die in der Nähe einer Grenze leben und Sperranlagen vor die Nase gesetzt bekommen, finden sich plötzlich in einer Randlage wieder und erleben dies als Nachteil, denn beispielsweise trennen sie Familien und erschweren den Handel. Grenzbefestigungen sind mit hohen Kosten verbunden, die gewöhnlich alle Prognosen übersteigen. Zudem stehen sie häufig für wachsende Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus, Gewalt und Kriminalität nehmen zu. Damit schaffen Mauern ziemlich genau das Gegenteil dessen, was Regierungen mit ihnen erreichen wollen und der Bevölkerung versprechen. Tatsächlich wird auf diese Weise der gesellschaftliche Status Quo sprichwörtlich zementiert, der Blick auf die Lösung von Konflikten verbaut. Im Gegenteil: Wenn Mauern eine Landnahme manifestieren, tragen sie zur Eskalation bei. Aufschlussreich ist auch der Blick hinter die sozialen Schranken von „Gated Communities“, deren Zahl rasant steigt. Zu ihnen gehört die bekannte „Green Zone“ in Bagdad. Wendy Brown analysiert tiefgründig, greift auch auf die psychoanalytische Theorie der Abwehr von Sigmund Freud zurück. Ihr Buch liest sich nicht immer leicht, doch die Lektüre lohnt.

Wendy Brown: Mauern – Die neue Abschottung und der Niedergang der Souveränität. Übersetzt von Frank Lachmann; Suhrkamp 2018, 260 Seiten

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