„Amerika taumelte durch ein ökonomisches Debakel, ein Erdbeben, welches das Vertrauen der Menschen in den Grundfesten erschütterte. Doch am anderen Ende kam das System beinahe unverändert wieder zum Vorschein. Die Raubritter gingen unverdrossen ihren üblichen Geschäften nach. Alles blieb mehr oder weniger beim Alten.“ So fasste der Journalist Thomas Frank in wenigen Worten die Regierungsjahre von Barack Obama zusammen. Sie stammen aus dem Text Linke, hört besser mal zu, den er bereits 2016 veröffentlichte. In seinem neuen Buch sammelt er Belege für den andauernden Untergang der amerikanischen Gesellschaft, denn für die Durchschnittsamerikaner geht es aus seiner Sicht seit langem bergab. Besonders deutlich zeigte sich das nach der Finanzkrise 2008, als die Regierung dafür sorgte, dass die Schuldigen von der Wall Street straffrei ausgingen: „Für die heutige Generation kann es keinen klareren Beweis für die Verkommenheit des Systems geben als die Rettung dieser Gauner, ein Alptraum, der seitdem hinter jedem windigen Geschäft hervorlugt“, schreibt Thomas Frank im Vorwort. Auf den folgenden Seiten legt er Beiträge aus den vergangenen zehn Jahren vor, darunter für Haper’s Magazine und den Guardian. Was führte zur Finanzkrise, wie veränderte Barack Obama während seiner Präsidentschaft die USA und weshalb konnte Donald Trump es schaffen, ins Weiße Haus einzuziehen?

Jane Magellanic

Für Thomas Frank versagte in dieser Zeit die Spitze der Demokratische Partei auf ganzer Linie: Bereits in der Regierungszeit von Bill Clinton verschärften sich die Gegensätze zwischen Arm und Reich, verloren viele Menschen ihre Jobs und verschuldeten sich, während die Gewinner zunehmend in ihrer eigenen Welt nach eigenen Regeln lebten. So stürzte die Pleite des Energiekonzerns Enron Tausende Angestellte in eine Existenzkrise, doch die gesellschaftliche Elite beschäftigte sich mit sich selbst. Die Liberalen glaubten ihre eigenen Erfolgsgeschichten, doch tatsächlich schrumpfte die Mittelschicht. Thomas Frank schreibt den Demokraten ins Stammbuch, dass auch sie eine Mitschuld haben „an der Frustration der Millionen aus der Arbeiterklasse, an ihren heruntergekommenen Städten und ihrem sinkenden Lebensstandard“. Den Neoliberalismus hält er für gescheitert, doch die Demokraten machten es mit ihrer Ignoranz dieser Probleme den Republikanern im Präsidentschaftswahlkampf zu einfach. Donald Trump bot seinen Anhängern „nicht einfach nur ein Ventil für Rassismus, sondern auch eins für Empörung über die wirtschaftlichen Verhältnisse“. Thomas Frank analysiert brillant, witzig und tiefgründig. Seine Kommentare und Essays sind ein wahres Lesevergnügen.

Thomas Frank: Americanic – Berichte aus einer sinkenden Gesellschaft. Übersetzt von Gabriele Gockel und Thomas Wollermann; Antje Kunstmann 2019, 352 Seiten

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Kurt Andersen gehört zu den einflussreichsten Kulturjournalisten der USA und schreibt eloquent mit spitzer Feder. Er gehörte zu den Gründern des Spy-Magazins, nun erscheinen seine Texte im New Yorker. Wer sich noch immer fragt, wie es dazu kommen konnte, dass Donald Trump die Präsidentschaftswahl gewann, findet bei ihm besondere Antworten. Im Grunde war es wohl ein logischer Schritt, dass ein Mann, der sich Fakten zurechtbiegt und Verschwörungstheorien pflegt, ins Weiße Haus einzog: „Im Laufe der Jahrhunderte haben wir Amerikaner uns immer intensiver allen möglichen Varianten des Magiedenkens und einem Alles-ist-möglich-Relativismus hingegeben. Immer stärker, und in den letzten fünfzig Jahren auch immer schneller, sind wir abstrusen Erklärungen nachgehangen und haben unseren Glauben an kleine und größere tröstliche, packende oder schauerliche Fantasien gepflegt.“ Wenn er durch Jahrhunderte wechselvoller Geschichte streift, decodiert er den amerikanischen Traum vom Aufstieg im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf eine ganz eigenwillige, erfrischende Weise.

Marco Antonio

Bis er den „ultimativen Fantasie-Industrie-Komplex“ erreicht, folgt Kurt Anderson den Quacksalbern und Goldwäschern, beleuchtet den Aufstieg der Traumfabrik Hollywood und streift durch das Schlaraffenland in der Vorstadtidylle. Im Jahr 1905 angekommen, findet er die Verhältnisse ganz vernünftig. Die Regierung setzte Standards für Lebensmittel und die öffentliche Gesundheit. Die Notenbank und die Organisation für die Förderung Farbiger Menschen (NAACP) wurden gründet. „Es entstanden faire und verantwortungsvoll agierende Nachrichtenmedien. Die Universitäten boomten, die Wissenschaft und ihre Vertreter genossen großes Ansehen. Der Rest der Welt konnte nun erkennen, dass auch Amerikaner Literatur, Musik und Kunst von internationaler Bedeutung hervorbrachten.“ Dann nimmt seine Reise wieder Fahrt auf. Abstruse Verschwörungstheorien vernebelten die Köpfe, die New-Age-Welle riss viele Menschen fort, mit Drogen und in Sekten erschufen sie sich eigene Parallelwelten.

Zum Schluss knöpft sich Kurt Andersen den amtierenden Präsidenten, „ein astreines Fantasyland-Geschöpf“, vor: „Trumps Realität war schon eine Reality-Show, bevor dieses Genre oder auch nur der Begriff überhaupt existierten.“ Um dem Sog von alternativen Fakten zu entkommen, müssten die Amerikaner beispielsweise ihren Medienkonsum regulieren und sich in Selbstbeherrschung üben. So könnten sie den Weg in ein realitätsbasiertes Amerika finden: „Wir müssen entschlossener werden, weniger Weichei sein. Wir müssen aufschreien, wenn uns etwas gefährlich unwahr und irreal vorkommt.“

Kurt Andersen: Fantasyland – 500 Jahre Realitätsverlust. Übersetzt von Kristin Lohmann, Claudia Amor und Johanna Ott; Goldmann 2018, 736 Seiten

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