„Mutter Blamage“ nennt der Journalist Stephan Hebel die Bundeskanzlerin, weil sie seiner Meinung nach ihr ökonomisch riskantes und sozial ungerechtes Handeln als Politik für alle zelebriert. Fazit: Merkel schadet neben Deutschland auch Europa, und zwar gründlich.

Wenn Angela Merkel „nur so tut als ob“, wieso fällt das nicht auf?

Gerade in Zeiten der Krise ist der verständliche Wunsch, es könne alles so bleiben, wie es ist, weit verbreitet. Diesem Bedürfnis trägt die Kanzlerin Rechnung, indem sie den Eindruck vermittelt, Deutschland vor den schlimmsten Krisenfolgen zu bewahren. Dass sie dabei auch unsere europäischen Exportmärkte kaputtspart und die soziale Spaltung verstärkt, fällt bisher hier leider kaum auf.

Wozu fehlt ihr der Mut?

Eine mutige Regierung würde offen sagen, dass das Modell Deutschland – einseitige Export-Orientierung, Abbau des Sozialstaats, Senkung des Lohnniveaus als „Wettbewerbsvorteil“ – auf Dauer nicht funktionieren kann. Sie würde sich für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik einsetzen: Förderung der Binnennachfrage durch konsequente Konjunkturpolitik und gemeinsame Verantwortung für einen Teil der Staatsschulden in Europa. All dies scheitert nicht nur am fehlenden Mut, sondern an der eindeutig marktliberalen Ideologie, die sich hinter Merkels „Kanzlerin-für-alle“-Theater verbirgt.

Welche Rolle spielen die Medien bei der Inszenierung von Merkels Erfolg?

Die langjährige Vorherrschaft des Neoliberalismus gilt leider auch für viele Medien. Mir kommt es manchmal vor, als habe sich irgendwann ein gelangweilter Überdruss an grundlegenden Fragen – etwa nach dem Verhältnis von Freiheit und Gerechtigkeit – breit gemacht.

Welche Alternativen sehen Sie zur Kanzlerin Merkel?

SPD, Grüne und Linkspartei könnten in einigen zentralen Punkten Einigkeit erzielen, Stichworte: Mindestlohn und Spitzensteuersatz. Diese Gemeinsamkeiten werden nicht zur Geltung kommen, wenn die Beteiligten weiter ihre Abgrenzungsrituale pflegen. Ich würde mir wünschen, dass es nach der Wahl wieder eine „linke“ Mehrheit gibt und diese zunächst ohne feste Koalition eine SPD-Kanzlerin oder einen SPD-Kanzler wählt. Aber leider sind Minderheitsregierungen und wechselnde Mehrheiten in Deutschland als „instabil“ verschrien.

Stephan Hebel: Mutter Blamage – Warum die Nation Angela Merkel und ihre Politik nicht braucht. Westend 2013, 160 Seiten