„Es gefiel mir nicht besonders, immer derjenige zu sein, der über Dinge schrieb, die den offiziellen Versionen widersprachen, aber ich war daran gewöhnt. Meine ersten Berichte über My Lai, Watergate, Kissinger, Jack Kennedy und den Mord an Osama bin Laden waren teilweise verbittert angegriffen worden. Ich überlasse es der Geschichte, meine letzten Anstrengungen zu bewerten.“ In seiner Autobiografie zieht Seymour Hersh eine beeindruckende Bilanz seiner journalistischen Karriere. Eher zufällig landete er nach der Arbeit im Waschsalon seines Vaters und einem Englischstudium in der Nachrichtenredaktion des City News Bureau seiner Heimatstadt Chicago. Dort lernte er den Job des Reporters von der Pike auf. Alle Fakten mussten überprüft werden, Details zählten viel und Vermutungen nichts. Seymour Hersh erinnert sich, wie ein Redakteur predigte: „Wenn Ihre Mutter Ihnen sagt, dass sie Sie liebt, überprüfen Sie auch das!“ Die akribische Suche nach Augenzeugen und Akten zeichnete seinen Arbeitsstil aus. Dabei mied er stets die Nähe des Establishments, dort fühlte er sich eher unwohl. Der Ruf, unbestechlich zu bleiben und eine Geschichte aus mehreren Blickwinkeln zu recherchieren, bescherte ihm einen wachsenden Vertrauensbonus.

Fadi Al-Assaad/REUTERS/Adobe Stock

Bekannt wurde Seymour Hersh mit seinen Berichten und Büchern über das Massaker von US-amerikanischen Soldaten an den Bewohnerinnen und Bewohnern des südvietnamesischen Dorfes My Lai im März 1968. Seine Kritik am Vietnamkrieg hatte ihn bis dahin beruflich in Schwierigkeiten gebracht, nun deckte er eine Geschichte auf, „in der die Amerikaner kein bisschen ehrenhafter oder bedachter kämpften als die Deutschen oder Japaner im Zweiten Weltkrieg.“
Als Reporter arbeitete er in den folgenden Jahren vor allem für das Magazin The New Yorker und die New York Times. Sein Verhältnis zu Redakteuren war selten frei von Konflikten, Diskussionen über die Glaubwürdigkeit seiner Quellen hielt er für überzogen. Doch dieses Spannungsverhältnis setzte offenbar eine enorme Kreativität frei: „Ich war immer der Ansicht, einer Zeitung ginge es darum, die Wahrheit herauszufinden und nicht lediglich von den Diskussionen darüber zu berichten.“ Bevorzugt spürte er nach früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Behörden und den Streitkräften, die ihr Wissen teilen wollten. So kam er hinter den heimlichen Krieg der CIA gegen die Allende-Regierung in Chile und deckte einen Abhörskandal auf, für den der Sicherheitsberater Henry Kissinger im Weißen Haus von Richard Nixon verantwortlich war.

Cherie A. Thurlby/Wikimedia

Auch mit Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Präsident George W. Bush und Vizepräsident Dick Cheney (auf dem Foto von links nach rechts) geriet er aneinander. Seymour Hersh hinterfragte öffentlich die Kriegsgründe gegen den Irak und bezeichnete die Warnungen der Regierung vor Massenvernichtungswaffen als Lügen, außerdem berichtete er ausführlich über Folter und Missbrauch im Abu Ghraib-Gefängnis. Bis heute geht ihm der Stoff nicht aus: „Inzwischen befinden wir uns in der Regierungszeit von Donald Trump; es gehen Gerüchte um, wonach die Russen in die Wahlen von 2016 eingegriffen haben; im Nahen Osten herrscht das übliche Chaos, und ISIS scheinen keine Bedrohung mehr darzustellen. Es wird immer viel zu tun geben, und ab und zu wird sich dabei etwas wie Zauberei ereignen.“ Wenn es soweit ist, berichtet Seymour Hersh darüber, wie es dazu kam. Sein Buch offenbart, weshalb Reporterinnen und Reporter gerade heute für die Demokratie so wichtig sind.

Seymour M. Hersh: Reporter – Der Aufdecker der amerikanischen Nation. Übersetzt von Karoline Zawistowska; Ecowin 2019, 432 Seiten

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Eine moderne Demokratie ohne starke Diplomatie? Unvorstellbar, jedenfalls bis Donald Trump in Washington das Weiße Haus bezog. Seitdem sehen sich viele US-Diplomaten auf dem Abstellgleis, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten sind weniger gefragt als früher. Dabei erfüllen sie viele wichtige Funktionen, wie Ronan Farrow schreibt: „Amerikaner im Ausland aus Krisen herausführen, die Wirtschaft von Entwicklungsländern am Laufen halten, Verträge zwischen Regierungen ausarbeiten.“ Er untersucht ausführlich die Militarisierung der US-Außenpolitik seit dem 11. September 2001 und stützt sich dabei unter anderem auf Interviews mit 200 Akteuren. Dazu gehören fast alle Außenministerinnen und Außenminister in den Regierungen von Bill Clinton, George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump. Schnell zieht er ein erstes Fazit: „Obama umgab sich, in geringerem Maß als Trump, aber in größerem Maß als viele Präsidenten vor ihm, mit pensionierten Generalen oder anderen Militärs in Führungspositionen.“

Andrew Lih/CC BY-SA 4.0/Wikimedia

Ronan Farrow schildert, wie das Team um Donald Trump das Außenministerium Schritt für Schritt entmachtet. Seine Protagonisten treten in Jordanien und Pakistan auf, also an Brennpunkten der Diplomatie und müssen erleben, dass ihre Erfahrung mit internationalen Konflikten nichts mehr zählt. Stattdessen wird ihre Arbeit nach rein bürokratischen Maßstäben bewertet, plötzlich drohen ihnen Anklagen wegen des Verstoßes gegen Sicherheitsbestimmungen. Wer nicht kaltgestellt wird oder freiwillig kündigt, soll künftig als Vertreter, nicht als Vermittler arbeiten: „Anfang 2018 ließ die Regierung Trump Pläne für eine Kampagne unter dem Slogan »Buy American« durchsickern, in der den Diplomaten des amerikanischen Außenministeriums rund um den Erdball eine neue Aufgabe zugedacht war, nämlich Werbung für Waffenkäufe bei amerikanischen Rüstungsfirmen zu machen.“ Ronan Farrow kennt aus jahrelanger Arbeit, worüber er schreibt. Ausführlich schildert er die Biografie von Richard Holbrooke, bei dem er nach dem College ein Praktikum absolvierte und für den er ab 2009 im Außenministerium arbeitete.

Kai Mörk/CC BY 3.0 DE/Wikimedia

Damals reiste Holbrooke (auf dem Foto rechts, im Gespräch mit Wolfgang Ischinger während der Münchner Sicherheitskonferenz 2010) als Sonderbeauftragter für Pakistan und Afghanistan um die Welt. Bekannt wurde er als gewiefter und rastloser Unterhändler, der im Bosnienkrieg 1995 das Abkommen von Dayton erreichte. Doch kantige, kompromisslose Typen wie er, die niemals aufgeben wollen, waren offenbar nicht mehr gefragt. In der Obama-Regierung wurde er mehr geduldet als gefordert, er rieb sich auf bis zu seinem tragischen Tod nach einem Herzinfarkt im Vorzimmer von Außenministerin Hillary Clinton im Dezember 2010.

Ronan Farrow erzählt spannend in zahlreichen Episoden, die zum Beispiel in den unruhigen Straßen von Islamabad oder in der Stille eines abgelegenen Alpendorfs spielen, wie Diplomatie funktionierte, als das Weiße Haus noch auf sie setzte. „Schieß zuerst, stell niemals Fragen“ lautet eine Überschrift, und sie fasst den Sinn des Wechsels von der Diplomatie zum Militär knapp zusammen. „Die hier beschriebenen Veränderungen führen zu Ergebnissen, die weltweit Sicherheit und Wohlstand gefährden. Schon haben sie die USA in militärische Engagements gestürzt, die hätten vermieden werden können. Schon haben sie Amerika einen hohen Preis an Menschenleben und weltweitem Einfluss abverlangt“. Ronan Farrow hofft auf eine Rückkehr zur Diplomatie. Sein sehr lesenswertes Buch erinnert an Die Elite – The Best and the Brightest von David Halberstam, in dem dieser schildert, wie die Präsidenten Kennedy und Johnson im Konflikt um die Zukunft Südostasiens versagten. Auch damals gewann das Militär die Oberhand über die Diplomatie.

Ronan Farrow: Das Ende der Diplomatie – Warum der Wandel der amerikanischen Außenpolitik für die Welt so gefährlich ist. Übersetzt von Helmut Dierlamm, Heide Lutosch, Hans-Peter Remmler, Gabriele Würdinger; Rowohlt 2018, 480 Seiten

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