Bei der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages am 12. März 2018 in Berlin stand Markus Söder nicht mit auf dem Podium. Trotzdem war dieser Termin für ihn sehr wichtig. Denn weil Horst Seehofer in der Neuauflage der Regierung von CDU/CSU und SPD das Innenministerium übernahm, wurde Söder schon jetzt bayerischer Ministerpräsident. Seitdem zieht er offenbar im Verhältnis zwischen München und Berlin die Fäden. „Wenn Seehofer in der Flüchtlingsdebatte Merkel treibt, dann treibt Söder Seehofer“, schreiben Roman Deininger und Uwe Ritzer in ihrer Söder-Biografie. Die beiden Journalisten der Süddeutschen Zeitung zeichnen nach, wie er sich zielstrebig nach ganz oben inszenierte. Bereits der Untertitel Politik und Provokation fasst kurz zusammen, mit welchem Konzept ihm das gelang. Markus Söder fand früh Methoden, um möglichst schnell voran zu kommen: „Den „Immer-da-Söder“ nannten sie ihn schon in JU-Tagen, er war immer da, selbst bei der kleinsten Veranstaltung – wenn sie seinem Fortkommen diente.“ Franz-Josef Strauß war sein Vorbild, Edmund Stoiber sein Mentor. Markus Söder knüpfte Netzwerke und suchte die Nähe der Medien, ließ Bilder sprechen. Aus jedem Amt zog er den größten Nutzen, ob als Generalsekretär der CSU oder als Minister. Als Seehofer versuchte, seinen Aufstieg zu verhindern, arbeitete Söder noch ehrgeiziger, um sich gegen Konkurrenz zu behaupten. Früher als andere in seiner Partei begriff er, wie sich Bayern verändert. „Die Zugezogenen sind nicht mit der CSU aufgewachsen, und sogar auf dem Land haben Menschen heute ganz selbstverständlich Lebensentwürfe, die von der CSU gerade noch verteufelt wurden. Bayern ist im Wandel, und die Frage wird sein, ob die CSU da hinterherkommt“, fragen die Autoren.

Markus RölekeRoman Deininger (links) und Uwe Ritzer (rechts) zeichnen die Karriere eines Mannes mit starkem Zug zur Macht nach, der auch unerwartet auf pragmatische Lösungen setzt, wenn er von ihnen überzeugt ist. Markus Söder wollte immer mehr als andere ganz an die Spitze und setzte sich schließlich kompromisslos durch. Seine Biografie erzählt viel über die jüngste Geschichte Bayers, und offenbart spannende Innenansichten der CSU. Roman Deininger und Uwe Ritzer sind in ihrem Buch sehr nah dran an Markus Söder, reflektieren seine Entwicklung zugleich kritisch und unterhaltsam. Besonders ihre Beobachtungen des Finanzministers Söder lassen ahnen, wie hart und unnachgiebig er künftig auftreten wird.

Roman Deininger, Uwe Ritzer: Markus Söder. Politik und Provokation – Die Biographie. Droemer 2018, 384 Seiten

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„Ist mir egal, ob ich schuld am Zustrom der Flüchtlinge bin. Nun sind sie halt da“, soll Angela Merkel Ende Oktober 2015 in einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gesagt haben. So berichtet es der Welt-Journalist Robin Alexander in seiner Rekonstruktion Die Getriebenen. Wie man zu Geflüchteten steht, wurde für viele zur Gretchenfrage in Politik und Gesellschaft. Allein darüber, ob Angela Merkel Anfang September 2015 die deutsche Grenze öffnete oder ihre Schließung verhinderte, als sich aus Ungarn zehntausende Flüchtlinge Richtung Österreich auf den Weg machten, wird bis heute heftig diskutiert. Für Robin Alexander besteht kein Zweifel, dass es eine Grenzöffnung war. Weshalb so viele Menschen über den Balkan und das Mittelmeer nach Europa flüchteten, untersucht er nicht. Er konzentriert sich ganz darauf, die Mühe zu schildern, mit der die deutsche Bundeskanzlerin Krisenmanagement betrieb. Dabei ging sie in Vorleistung: „Später argumentierte Merkel strategisch: Deutschland müsse eine Zeitlang alle Flüchtlinge allein aufnehmen, um der allzu trägen EU die Zeit zu verschaffen, eine gemeinsame Lösung zu finden.“ Die Mitgliedsländer einigten sich nicht auf eine Verteilung der Geflüchteten, nur der Abschottungs-Deal mit der Türkei kam zustande. Schließlich geriet Angela Merkel in einen Wettlauf mit dem damaligen österreichischen Außenminister Sebastian Kurz, der plötzlich die Front ihrer europäischen Gegner anführte. Er wollte möglichst schnell die Balkan-Route schließen. Schon vor der Diskussion über den Umgang mit Flüchtlingen war das Verhältnis zwischen der Kanzlerin/CDU-Vorsitzenden Angela Merkel und dem bayerischen Ministerpräsidenten/CSU-Chef Horst Seehofer sehr angespannt.

Gudrun Senger

Laut Robin Alexander sprachen sie am entscheidenden 4. September 2015 nicht miteinander. Merkel entschied oft pragmatisch und zunehmend allein. Die Willkommenskultur mit all ihrer Hilfsbereitschaft und Herzlichkeit überraschte sie, ebenso der heftige Stimmungsumschwung nach den Ereignissen in der folgenden Silvesternacht. Die Getriebenen ist eine atemlose und aufschlussreiche Sicht auf Macht. Robin Alexander beschreibt, wie die Protagonisten bei Entscheidungen von ihren Erfahrungen und Werten beeinflusst, von Umfragen, Nachrichten und Zufällen unter Druck gesetzt werden. Er erzählt, wie unkalkulierbare Umstände Politikerinnen und Politiker an ihre Grenzen bringen.

Robin Alexander: Die Getriebenen – Merkel und die Flüchtlingspolitik: Report aus dem Innern der Macht. Pengiun 2018, 288 Seiten

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