Von der Internationalen Raumstation ISS aus war am 28. August 2017 deutlich zu erkennen, wie sehr der Hurrikan Harvey die Küste von Texas in den USA bedrohte. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete ein kleines Team von Klimawissenschaftlerinnen und Klimawissenschaftlern bereits seit vier Tagen an einer aufwändigen Studie. Es wollte herausfinden, wie groß der Anteil des Klimawandels an diesem ungewöhnlichen Wetterereignis war. Die Physikerin Friederike Otto forscht im Institut für Umweltveränderungen an der Universität Oxford. Sie will mit Attributionsstudien die Zuordnung von Extremwetterereignissen als eigenständigen Zweig der Klimawissenschaften etablieren: „Worum es letztlich geht, ist extremes Wetter, durch das viele Menschen ihr Zuhause verlieren, verletzt werden oder gar sterben, extremes Wetter, das die Wirtschaft eines Landes einbrechen lässt oder um Jahre zurückwirft: Dürren, Hitzewellen mit Temperaturen über 50 Grad, Taifune und natürlich Hurrikans. Entwicklungsländer sind insofern stärker betroffen als Industrieländer, als sie verwundbarer sind und Extremwetter für sie zur Existenzfrage werden kann.“

Geraint LewisFriederike Otto erklärt wunderbar leicht und allgemeinverständlich, wie das Wetter vom Klima beeinflusst wird, warum sich das Klima verändert und welche Faktoren diesen Prozess bestimmen. Die Arbeit an der Analyse der Harvey-Katastrophe bietet den Spannungsbogen. Im Grunde vermittelt sie Basiswissen für manche hitzig geführte Alltagsdiskussion. Sie untersucht, wie Regierungen auf verschiedenen Kontinenten auf Klimaveränderungen reagieren, und kommt zu dem Schluss, dass es manchmal besser sein, in Bildung statt in Staudämme zu investieren. Denn manche Lösungen greifen zu kurz und schaffen neue, andere Probleme. In Europa breiten sich Hitzwellen seit der Jahrtausendwende regelmäßig aus, die Länder stellen sich inzwischen besser darauf ein. Vor allem räumt Friederike Otto mit vielen Vorurteilen über den Zusammenhang von Wetter und Klima auf, erinnert auch an manche bekannte Tatsache: „Es gilt die Faustregel: Erwärmt sich die Erde um ein Grad, verstärken sich die Regenfälle im Durchschnitt um sieben Prozent. Diesen Zusammenhang entdeckten Rudolf Clausius und Benoît Paul Émile Clapeyron bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.“

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Die Attributionsstudie über Harvey ergab schließlich, dass der Einfluss des Klimawandels deutlich mehr Regen über Houston fallen ließ als in einer Welt ohne Klimawandel gefallen wäre, es regnete bis zu 22 Prozent mehr (das Foto zeigt die überflutete Nord-Süd-Autobahn US Route 59 am 27. August 2017). Für den Mittelmeerraum fand das Team heraus, dass Hitzewellen durch den Klimawandel etwa 100-mal wahrscheinlicher werden. Vor allem ältere Menschen bekommen diese Veränderungen stark zu spüren. „Natürlich hat es Extremwetter schon immer gegeben“, schreibt Friederike Otto, „aber wenn es eine Attributionsstudie gibt, kann niemand mehr eine Katastrophe damit abtun, einfach »Pech gehabt« zu haben.“ Wenn der Anteil des Klimawandels an Wetterereignissen nachgewiesen werden kann, könnten auch seine Verursacher haftbar gemacht werden. Inzwischen wurden auf der Basis solcher Analysen bereits Energiekonzerne wie RWE verklagt, weil sie zur Erderwärmung und so zur Klimaungerechtigkeit beitragen. Wütendes Wetter ist ein wichtiges Buch über ein komplexes Thema.

Friederike Otto: Wütendes Wetter – Auf der Suche nach den Schuldigen für Hitzewellen, Hochwasser und Stürme. Unter Mitarbeit von Benjamin von Brackel; Ullstein 2019, 240 Seiten

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„Fast alles, was wir über die Erderwärmung wissen, war bereits 1979 bekannt. Es war damals womöglich sogar besser bekannt.“ So beginnt der Journalist Nathaniel Rich seine dramatische Reportage über die Klimadiskussion in den USA von Anfang 1979 bis Ende 1989. Sie handelt von nimmermüden Aktivisten, gerissenen Lobbyisten und zögerlichen Politikern. In diesen zehn Jahren schien es möglich, den Klimawandel zu stoppen, meint Nathaniel Rich. Alle nötigen Informationen waren verfügbar, auch Energieunternehmen wollten das Problem lösen, Demokraten und Republikaner schrieben sich das Thema auf die Fahne. Jimmy Carter, seit 1977 Präsident, ließ auf dem Dach des Weißen Hauses Solarzellen installieren. Im Kino lief der Politthriller Das China-Syndrom über einen fiktiven Unfall in einem Atomkraftwerk. Dann fand der Naturwissenschaftler und Umweltaktivist Rafe Pomerance in einem Regierungsbericht den Hinweis, „dass die unverminderte weitere Nutzung fossiler Brennstoffe innerhalb von zwei oder drei Jahrzehnten zu »erkennbaren und schädlichen« Veränderungen der Erdatmosphäre führen würde.“

Pableaux Johnson

Nathaniel Rich schreibt in klaren Worten gegen die weit verbreitete Behauptung von Energie-Lobbyisten an, die wissenschaftliche Klimaforschung habe keine fundierten Ergebnisse geliefert. Das Gegenteil war der Fall: Rafe Pomerance fand bald den NASA-Direktor James Hansen, einen Klimaforscher. Er beschäftigte sich intensiv mit den Folgen von CO₂-Emissionen. Doch inzwischen saß Ronald Reagan im Weißen Haus, und er machte viele Öko-Initiativen seines Vorgängers rückgängig. Das alarmierte die Abgeordneten im Repräsentantenhaus. Auftritt Al Gore: Der junge Demokrat organisierte zahlreiche Anhörungen und sorgte mit dafür, dass der Klimawandel weiter diskutiert wurde. Die Debatte gewann weiter an Aufmerksamkeit, als Mitte der achtziger Jahre das Ozonloch entdeckt und die Fluorchlorkohlenwasserstoffe als Gift für die Erdatmosphäre erkannt wurden.

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Im November 1989 schien eine weltweite Lösung greifbar, um die Klimakrise zu vermeiden. George Bush senior (auf dem Foto rechts am Telefon) hatte die Präsidentschaftswahl ein Jahr zuvor unter anderem mit dem Thema Klimaschutz gewonnen. In Noordwijk in den Niederlanden diskutierten Umweltminister eine Vereinbarung, die den Weg zu einem Vertrag geebnet hätte, um die Erderwärmung bei eineinhalb Grad Celsius festzuschreiben. Doch Bushs Stabschef John Sununu (auf dem Foto links) verhinderte die Verpflichtung, wirtschaftliche Interessen gingen vor. „Seit dem 7. November 1989, dem letzten Tag der Konferenz von Noordwijk, wurde mehr Kohlendioxid in die Atmosphäre abgegeben als in der gesamten Menschheitsgeschichte davor“, stellt Nathaniel Rich fest. Sein Buch macht fassungslos angesichts dieser verpassten Chance, vor allem rüttelt es auf.

Nathaniel Rich: Losing Earth. Übersetzt von Willi Winkler; Rowohlt Berlin 2019, 240 Seiten

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