Wie geplant fror das Forschungsschiff Polarstern im Oktober 2019 in einer Eisscholle fest, nun baute das Team seine Messstationen auf: „Das Schiff ist das Observatorium der Forscherinnen und Forscher, ein Auge in der so unbekannten Region. Hier vermessen sie die Atmosphäre und den Ozean mit seinen Lebewesen. Sie untersuchen das Eis und den Schnee darauf. Es geht ihnen um die kleinen und großen Zusammenhänge“, schreiben Esther Horvath, Sebastian Grote und Katharina Weiss-Tuider im Prolog ihres sehenswerten Bildbandes über die Arktis-Expedition der Polarstern. „Und natürlich wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dieser Expedition auf eine der wichtigsten Fragen unserer Zeit Antworten finden: Inwiefern ist die Arktis eine erste Betroffene und zugleich ein Treiber des Klimawandels?“ Mit dieser MOSAiC-Expedition (multidisziplinäres Drift-Observatorium zum Studium des Arktisklimas) wagten sie sich mit ihrem Schiff weiter in die Arktis als jemals zuvor, trieben im Eis fast über den Nordpol.

Esther Horvath

Die Fotografin Esther Horvath dokumentiert die Forschung des Alfred-Wegener-Instituts. Für diesen Bildband arbeitete sie mit drei Vollformatkameras, die über einen deutlich größeren Bildsensor verfügen als übliche Spiegelreflexkameras. Mit speziellen LED-Lampen setzte sie zusätzliches Licht. Nun zeigt sie auf vor allem doppelseitigen Fotos den Alltag der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler: Wie sie sich auf diese Reise unter Extrembedingungen vorbereiten, in ihren Labore und Stationen Daten sammelten, Stürmen und Kälte auf der Scholle trotzten. Sie fing ihren Alltag an Bord zwischen Brücke, Kombüse und Werkstatt ein. „Aber vor allem ist es diese einzigartige Erfahrung, auf dem Meereis zu stehen und sich bewusst zu werden, dass unter uns ein mehrere Kilometer tiefer Ozean ist. Das ist so ein unglaubliches Gefühl. Es lässt sich kaum beschreiben“, sagt sie rückblickend. Beiträge von Sebastian Grote und Katharina Weiss-Tuider über Fridtjof Nansen, den Erfinder der Eisdrift, und die norwegische Polarexpedition sowie über Forschungen zur Atmosphäre und zur Biogeochemie runden den Bildband ab. Expedition Arktis erzählt beeindruckend, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter harten Bedingungen ihrer Mission folgen, um die Forschung in ihren Disziplinen voranzubringen.

Esther Horvath: Expedition Arktis – Die größte Forschungsreise aller Zeiten. Texte von Sebastian Grote und Katharina Weiss-Tuider, mit einem Vorwort von Markus Rex; Prestel 2020, 288 Seiten

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Esther Horvath

Mit diesem Foto von einer Eisbärin und ihrem Jungtier, die das Forschungscamp erkunden, gewann Esther Horwarth den 2020 World Press Photo Award in der Kategorie Umwelt. „In der dunklen Wildnis zwei Eisbären zu sehen und gleichzeitig selbst in Sicherheit auf dem Schiff zu sein – das war eine einmalige Chance“, erzählt sie im Buch. Die Aufnahme gelang ihr eines Abends im Oktober 2019 vom Bug der Polarstern: „Ich bin keine Wildlife-Fotografin, wollte aber festhalten, wie die Eisbären auf unser Forschungscamp reagieren. Wir waren schließlich nicht alleine in der Arktis, sondern nur Gäste im Reich der Eisbären.“

„In einer Expedition, die die Grenzen des Machbaren verschiebt, überwintert Polarstern fest eingefroren im Eis der Zentralarktis, unterstützt von einer Flotte von sechs weiteren Eisbrechern und Forschungsschiffen, und sammelt ein ganzes Jahr lang die Daten, die wir so notwendig brauchen. Denn die Arktis ist das Epizentrum des Klimawandels.“ So fasst Markus Rex als ihr Leiter zusammen, warum sich Forscherinnen und Forscher aus 20 Ländern für diese MOSAiC-Expedition zusammenschlossen. Sein Logbuch beginnt am 20. September 2019, als die Polarstern im norwegischen Tromsø ablegte. Wenige Tage später erreichte sie die sibirische Eiskante und am späten Abend des 4. Oktober lag das Schiff fest im Eis. In den folgenden Monaten trieb es mit ihm durch das Polarmeer. Auf der Scholle bauten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zahlreiche Forschungsstationen auf, erreichbar nur mit dem Schneemobil. Draußen umgab sie eine „atemberaubende Stille“, schreibt Markus Rex, „das ganz leise Rauschen, das die Eiskristalle verursachen, wenn sie im leisen Wind sachte über den Schnee treiben; ein kaum wahrnehmbares Quietschen, wenn sich das Eis etwas bewegt. Das sind die Eindrücke, die mich die Arktis lieben lassen.“

Esther Horvath/AWI/dpa/picture alliance

Markus Rex wollte mit dieser Reise dazu beitragen, die Entscheidungen zum Klimaschutz auf robuste und verlässliche wissenschaftliche Fundamente zu stellen. Weil die Prognosen hinsichtlich der Entwicklung in der Arktis besonders ungenau sind, mussten vor Ort die nötigen Daten gesammelt werden: „Viele Modelle sagen voraus, dass die Arktis in wenigen Jahrzehnten im Sommer eisfrei sein wird. Andere nicht. Keiner weiß, ob und wann das passieren wird.“ Sein Buch unterhält und informiert: Wie funktioniert das Forschungsschiff Polarstern, auf welche Grundlagen stützen sich die Forscherinnen und Forscher, was unterscheidet Meereis und Landeis? Er berichtet vom Eisbärenalarm und schwierigen Entscheidungen wie jener, eine Station wegen eines Risses im Eis zu evakuieren, denn an erster Stelle steht die Sicherheit des Teams. Schließlich beeinflusste die weltweit heraufziehende Corona-Pandemie die Arbeit. Eingefroren am Nordpol schärft die Neugier für spannende Abenteuer der Forschung, die unter widrigen Bedingungen engagierte Expertinnen und Experten erleben.

Markus Rex: Eingefroren am Nordpol – Das Logbuch von der »Polarstern«. In Zusammenarbeit mit Marlene Göring; C. Bertelsmann 2020, 320 Seiten

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