„Die Integrationspolitik hat sich insgesamt ganz deutlich verbessert. Die Teilhabechancen von Minderheiten sind wesentlich besser als noch vor zwanzig, dreißig oder fünfzig Jahren. Dabei spielt es keine Rolle, ob wir uns den Arbeitsmarkt, das Bildungssystem, die Wohnverhältnisse oder die Möglichkeiten der politischen Partizipation anschauen.“ Der Soziologe Aladin El-Mafaalani wundert sich, in welchem Licht in Deutschland die Erfolge bei der Integration gesehen werden. Sind die Erwartungen zu hoch? Wird die Panikmache von Demagogen und Pessimisten überbewertet? Stehen nebensächliche Konflikte im Fokus der Debatte? 1978 im Ruhrgebiet als Sohn syrischer Einwanderer geboren, koordiniert er heute im nordrhein-westfälischen Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration die Integrationspolitik und dürfte genau wissen, was funktioniert und wo es noch klemmt. Sachlich, logisch und wunderbar entspannt nimmt er einen Integrationsschwerpunkt nach dem anderen unter die Lupe, zeichnet die mittelfristige Entwicklung in Deutschland nach.

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Seine These: Gerade weil die Integration immer besser klappt, gewinnen auch Gegenbewegungen an Aufmerksamkeit. Denn die Erfolge steigern die Erwartungen: „Warum sollte der Rassismus automatisch abnehmen, wenn es mehr Verteilungs- und Zugehörigkeitskonflikte gibt? Es ist völlig absurd, anzunehmen, dass gelungene Integration den Rassismus automatisch verringert.“ Aladin El-Mafaalani befasst sich ausführlich auch mit Intoleranz, Nationalismus und Fundamentalismus. Plausibel zeichnet er nach, welche Erwartungen die verschiedenen Einwanderer-Generationen an die deutsche Gesellschaft stellten und stellen, weshalb dieser Prozess kaum reibungslos ablaufen kann. „Konflikte nur als negative Ereignisse wahrzunehmen oder gar passiv und ohnmächtig zu beobachten, erschwert es enorm, die positiven Funktionen von Konflikten zu erkennen. Konflikte sind es, die die offene Gesellschaft zusammenhalten. Dann ist Streitkultur die beste Leitkultur“, schreibt Aladin El-Mafaalani. Sein Buch lenkt den Blick auf die wesentlichen Herausforderungen der Integration.

Aladin El-Mafaalani: Das Integrationsparadox – Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt. Kiepenheuer & Witsch 2018, 240 Seiten

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Der Psychologe Ahmad Mansour, ein 1976 geborener arabischer Israeli, kam 2004 nach Deutschland und begann sein Studium an der Humboldt-Universität in Berlin. Die Sprachbarriere, große Einsamkeit und Selbstzweifel prägten anfangs seinen Alltag. Wie er sich einlebte, fremde Menschen und ihre Kultur kennenlernte, beschreibt er ausführlich. Rückblickend bezieht er sich immer wieder auf eine stabile Grundlage, damit Integration gelingt: „Neuankömmlinge müssen emotional ankommen und das Grundgesetz und die Demokratie als Chance und Gewinn für sich sehen, um ein Teil dieser Gesellschaft zu werden. Dabei sind patriarchale Strukturen eine Herausforderung, die uns schon seit Jahrzehnten begleitet. Sie stellen eines der dringendsten Probleme dar, die wir beim Thema Integration haben.“ In Kursen arbeitet er mit Betroffenen beispielsweise in Gefängnissen, Schulen und Behörden auf, weshalb Integration zu scheitern droht. Dabei kratzt die Diskussion darüber aus seiner Sicht oft nur an der Oberfläche, und so wie sie dann geführt wird, spaltet sie die Gesellschaft eher, statt sie zu einen. „Die einen sagen: „Alle weg.“ Die anderen sagen: „Keiner ist illegal, und jeder, der hier ist, darf bleiben. Abschiebung ist keine Lösung.“ Die Debatten werden in moralisch und unmoralisch aufgeteilt. Es gibt Hass und Gegenhass. Aber diejenigen, die Tag für Tag betroffen sind, die Lehrer, die Sozialarbeiter, die privaten und öffentlichen Träger, die richtig gute Arbeit machen wollen, und natürlich die Flüchtlinge selber, werden weder angehört noch angesprochen. Sie bleiben alleine“, stellt Ahmad Mansour fest.

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Er plädiert für eine differenzierte Aufarbeitung der bisherigen Integrationsarbeit, um sie zu verbessern. Einwanderer nach Deutschland brauchen seiner Meinung nach ein besseres Verständnis und deutlicheres Bild von den Verhältnissen hier: „Wir brauchen eine Leitkultur, über die man streiten kann. Ich weiß, dass manche Menschen sehr allergisch auf diesen Begriff reagieren. Er ist einfach in den letzten Jahren sehr abgenutzt, nie aber wirklich mit Leben gefüllt worden. Es geht darum zu bestimmen, welche Werte wir als verhandelbar und welche wir als unverhandelbar ansehen, wenn jemand in unsere Gesellschaft kommt.“ Seine Botschaft: klare Regeln, konsequent umgesetzt auf Basis des Grundgesetzes als Leitfaden, erleichtern das Zusammenleben und schützen vor Enttäuschungen.

Ahmad Mansour: Klartext zur Integration – Gegen falsche Toleranz und Panikmache. S. Fischer 2018, 304 Seiten

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